Stories From California

Die spinnen doch nicht alle!

Ausgesprochen hat es niemand, aber aus dem Tonfall der Redakteurinnen am Telefon klang ein kaum verdecktes “Die spinnen, die Amis!” Ich konnte sie verstehen.

Beim ersten Anruf ging es um die Wahlkampf-Diskussion darüber, ob US-Krankenversicherungen Verhütungsmittel zahlen sollen, damit verbundene Frauen-Beschimpfungen von Talkshow-Moderator Rush Limbaugh und die Äußerung des republikanischen Kandidaten Rick Santorum, Verhütung widerspreche der Natur.

Zweiter Anlass für durch den Telefonhörer spürbares Kopfschütteln über die verrückten Amis war eine Gerichtsentscheidung in Colorado. Dort dürfen Studenten und Dozenten auf Universitätsgeländen jetzt Waffen mit zum Unterricht bringen.

 

Solche Nachrichten lösen in der Ferne den Eindruck aus, die USA bewege sich was Frauenrechte angeht zurück ins Mittelalter und was den Umgang mit Pistolen und Gewehre betrifft in den nicht ganz so weit zurück liegenden Wilden Westen. Natürlich entspricht dieser Eindruck nicht ganz der Realität!  Zugegebenermaßen kenne ich nur einen minimalen Bruchteil der 300 Millionen US-Bürger, aber: ich habe noch nie über die Anti-Baby-Pille diskutieren müssen und glücklicherweise ist mir auch noch nie jemand mit einem um die Hüfte geschlungenen Pistolengurt begegnet. Nicht einmal in dem für mich sehr wildwestigen Bundesstaat Wyoming.

Ich war also sehr neugierig, was ich erfahren würde auf meiner Suche nach Reaktionen auf Verhütungsdebatte und Waffen für den Uni-Campus.

Ich traf einen Familienvater, der mehrere Pistolen und Gewehre zu Hause hat. Sein Vater hat ihm das Schießen beigebracht als er fünf Jahre alt war. Wie andere Sonntags zum Wandern gehen, trainierte diese Familie am Wochenende in den Bergen Treffsicherheit. Er geht nicht auf die Jagd, sondern zum Schießstand. Wie im Wilden Westen will sich der inzwischen 46 jährige jederzeit selbst verteidigen können.  Das bleibt mir fremd. Aber im Gegensatz zu mir hat der Familienvater Rassenunruhen und Erdbeben erlebt, bei denen Sicherheitskräfte erst spät für Ordnung sorgten. Waffenbesitz ist für ihn kein Problem, auch nicht auf Universitätsgeländen, solange die Besitzer in einem Pflicht-Kurs den sicheren Umgang mit Pistolen lernen. “Nicht dass die Waffe einfach so aus dem Rucksack fällt!”

Weiter gings zur Verhütungs-Recherche. Eine knapp 30jährige Studentin, die sich stolz als Christin identifiziert, jeden Sonntag zur Kirche geht und sich ihre Jungfräulichkeit bis zur Ehe bewahren will sagt mir: “Selbstverständlich sollen Frauen die Anti-Baby-Pille oder andere Verhütungsmittel bekommen, natürlich auch Mitarbeiterinnen der Kirche!” Sie kann wie ich nicht fassen, dass diese Diskussion überhaupt noch einmal geführt wird. Die Studentin will einen Präsidenten wählen, der sich für das Leben einsetzt. Für sie bedeutet das: “Er soll dafür sorgen, dass alle genug zu Essen und auch Geringverdiener in unserem Land die Chance auf ein gutes Leben haben und dass die USA nicht überall auf der Welt Kriege führen.”

Sie sind anders aber doch nicht alle verrückt, die Amis, oder?